Vor zwei Jahren bezogen Anna Maria Krassnigg und ihr Team die ehemalige Festungsanlage in Wiener Neustadt, um in den historischen Kasematten „Europa in Szene“ zu setzen. „Bloody Crown“ lautete der Titel des ersten Zyklus – nun wartet man mit „Szene Österreich“ mit einem verstärkten Blick in heimische Gefilde auf. Für den Start in den neuen Zyklus wurde niemand Geringerer gewählt als Franz Grillparzer – wenig gelesener und selten gespielter österreichischer Nationaldichter. Eine Bezeichnung, in der, schenkt man dem Stück von Erwin Riess „Herr Grillparzer fasst sich ein Herz und fährt mit einem Donaudampfer ans Schwarze Meer“, welches vergangene Woche in Wiener Neustadt seine Premiere feierte, glauben, einiges an Bitterkeit steckt. Keinem Autor von diesem Rang sei „von der heimischen Literaturkritik- und wissenschaft so übel mitgespielt“ worden, betont Riess im Programmheft. „Auf eine Auszeichnung 100 Erniedrigungen, auf eine Beförderung 10 Teufeleien“, lässt er Grillparzer im Stück sagen. Der große österreichische Dichter erscheint auf der Bühne als ein gehetzter, verbitterter in die Jahre gekommener Mann. Ein Schriftsteller auf „Generalflucht“ vor dem Kaiser, dem Beamtenstand und überhaupt vor „all den Niederträchtigkeiten und den Gemeinheiten, die man mir in Wien zugefügt hat“.
Auf Generalflucht
Mit wenigen Sätzen gelingt es Riess das Bild einer Epoche, in der Metternich als selbsternannter „Kutscher Europas“ die Zügel fest in der Hand hält, zu zeichnen und liefert dabei wortgewaltig so manch traurigen Einblick in die Österreichische Seele. Diese – so die traurige Erkenntnis des Abends – scheint trotz des Zusammenbruches des (im Stück angekündigten) Habsburger-Reiches wenig an Läuterung erfahren zu haben. Das von der Figur Grillparzers in einem ergreifenden Schlussmonolog skizzierte Gebräu aus „Himmelsstürmerei, Wehleidigkeit und Großmannsucht“, ruft im Zuseher, der Zuseherin, nicht nur die Epoche des Biedermeiers vorm geistigen Auge hervor, sondern dürfte bei dem einen oder der anderen auch so manche Ereignisse der letzten durch Pandemie und Korruption geprägten Jahre zurück an die Oberfläche bringen.
Gemeistert wird die Szene – so wie generell der ganze Abend – schauspielerisch mit Bravour von Horst Schily. Aber auch Saskia Klar erfüllt die junge Kabinenbetreuerin Csilla, die Grillparzer während der Fahrt umsorgt und ihn mit Witz und Schlagfertigkeit zumindest kurz aus seinem Schneckenhaus lockt, gekonnt mit Leben. Der an Österreich und an dem Österreicher in ihm leidende Mann erfährt wieder so etwas wie Lebensfreude – aus seiner Haut kommt er am Ende trotzdem nicht. An einer Lolita-Story schippert man zum Glück vorbei.
Fortsetzung folgt
Inszeniert wird das Stück als „Szenische Skizze“. Ein intimes Format zwischen szenischer Lesung und Zweipersonenstück mit Musik, das mittlerweile als Spezialität der „wortwiege“ gilt. Mit „Chikago“ steht Anfang März eine weitere Premiere im Rahmen der „Szene Österreich“ auf dem Spielplan. Auch in diesem für die Bühne adaptierten Roman von Theodora Bauer geht es um das Thema Heimat und Flucht. Raritäten von Leo Perutz, Franz Kafka, Robert Neumann und Jeannie Ebner sollen in weiterer Folge in den nächsten Jahren auf dem Spielplan stehen.
Herr Grillparzer fasst sich ein Herz und fährt mit einem Donaudampfer ans Schwarze Meer
Weitere Termine: Do 10.03. (19:30); Sa 12.03. (15:00); So 13.03. (15:00)
Kasematten Wiener Neustadt
Bahngasse 27
2700 Wiener Neustadt
www.wortwiege.at
Titelbild: Herr Grillparzer fasst sich ein Herz und fährt mit einem Donaudampfer ans Schwarze Meer © Ludwig-Drahosch
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